Ich bin nicht nur zu einer stark politischen Zeit im Land, sondern auch zu einer sehr festiven, nämlich zur Zeit des Dashain. Die Zeitungen sind voll von dem Benzindrama und der neuen Primeministerwahl auf der einen und der zahlreichen Aktivitäten rund um das große kulturelle Fest auf der anderen Seite. Dashain ist ein Hindu Fest. Nicht nur eines der vielen, sondern das größte und längsten von ihnen allen. Es dauert zehn bis fünfzehn Tage und endet bei Vollmond. Die ersten neun Tage sind zu Ehren der Göttin Durga, die schöne Frau auf einem Löwen reitend, in dem Fall in der Rolle der Töterin des Büffeldämons. Diese soll durch Opfergaben besänftigt werden. Aufgrund dessen findet man zu dieser Zeit auf den Märkten unzählige Schafe, Ziegen, Enten, Hühner und Wasserbüffel, die als Opfertiere gekauft werden. Mit Entsetzen lese ich bei meinem allmorgendlichen Studieren der Daily Newspaper (Himalayan), dass 30.000 Ziegen bereits in Kathmandu angekommen sind. Erst wird das Blut geopfert, dann das Fleisch gegessen. So der Brauch. Weil darunter auch kranke Tiere sein können und sich durch Schlechtes-Fleisch-Essen Krankheiten im Volk verbreiten, hat der Staat sich folgendes überlegt: Er hat ein Medical Control Team gebildet, welches die großen Märkte abfährt, die Tiere prüft und dann entsprechend kennzeichnet: blaue Farbe am Horn = gesund, rot markierte Hörner = krank. Am achten und neunten Tag findet das Schlachten statt. Ich bin überaus froh, dass nicht mit ansehen zu müssen. Zur Verurteilen wäre nicht richtig. Die Bräuche sind Teil der Religion und gehören somit zur Kultur der Hindus. Dennoch bereitet mir der Gedanke an das Massenschlachten Magenschmerzen.
Mit meinem Gewissen ist das nicht zu vereinbaren. Tashi, Buddhist, erzählt mir, dass er keine der unzähligen Einladungen seiner Hindu-Freunde folgt, weil er in kein Haus geht, in dem Tiere getötet werden, beruhend auf eine prägende Kindheitserfahrung dieser Art. Nur ein Freund mit hinduistischem Glauben fällt dabei aus der Rolle. Er freut sich darauf, in Nilesh´s Haus zu gehen, dort alle Freunde wieder zu treffen und Drachen steigen zu lassen. Zudem wird alles im Haus blank geputzt und in Banken kommt es zu langen Schlangen, weil alle neue Scheine brauchen, um diese auf den Opfertisch neben die anderen Gaben zu legen. Die Banken sind darauf vorbereitet, dass die Nachfrage nach sauberen und frischen Banknoten zur Zeit des größten Festes des Jahres steigt.
Drachen steigen lassen ist das schönste Ritual wie ich finde. Gleich neben Schaukeln. Welche schöne Tradition. Es werden an vielen Orten für die Kinder extra Schaukeln aus Bambus und Kokosseilen errichtet. Der Sinn: Das Schaukeln nimmt die schlechten Gefühle und ersetzt sie durch lebensspendende. Da ich kurz vor dem richtigen Festivalbeginn abreisen muss, habe ich schon mal vorgeschaukelt. An keinem geringer schönen Ort als im Garden of Dreams, eine grüne Oase im Häusermeer mit Namen Kathmandu. Der zehnte Tag nennt sich Dashami und ist ein großes Familienfest, an dem die Kinder die Eltern besuchen und von ihnen die Tika (der rite Punkt auf der Stirn) bekommen. An diesem Tag reisen die Verwandten von Nah und Fern an. Das Zusammenkommen mit der Familie ist der am Dashain meist geschätzte Aspekt. Ähnlich dem deutschen Weihnachtsfest. Man trägt dem Brauch nach neue Kleidung und hält ein Festmahl ab. Das ganze Land reist dazu von A nach B. Blöd nur, wenn man keinen Brennstoff hat. Ohne Benzin fährt das Auto nicht zur Omma. Und ohne Gas kann die Muddi die Verwandten nicht bekochen. Danke Indien. Für kalte Küche und dafür, dass die Menschen wie Koffer auf Dächern der Fahrzeuge hocken, um bei den wenigen fahrenden KFZs einen Platz zu ergattern, um irgendwie ans Ziel zu kommen. Regen möchte man sich bei so einer übermannten Dachfahrt lieber nicht vorstellen. Aufgrund der Situation ist der Outflow der Leute raus aus dem Valley in Richtung heim zu ihren Familien logischerweise geringer. Denn selbst, wenn man eine Möglichkeit der Hinfahrt findet, besteht die Befürchtung dann nicht pünktlich wieder zurück zu sein, um zu Arbeit zu kommen. Somit lieber gar nicht erst los fahren. Die Metropolitian Traffic Police Division sagt der Zeitung: „50.000-59.000 Personen haben die Hauptstadt verlassen nach Ghatasthapana (der 1. Tag des Dashain). In der Vorwoche waren es 33.000-43.000. Im Vorjahr haben 71.000 Menschen, die Kathmandu verlassen, um ihre Verwandten zu besuchen. An normalen Tagen verlassen rund 7500 Fahrzeuge das Valley. Insgesamt verlassen 1,5 Mio Menschen ihr Heimatdistrikt in diesen Tagen.“
Das Festival steht für den Sieg des Guten über das Böse. Dashain erinnert die Menschen daran, dass die Zeiten manchmal “sehr hart und sehr traurig“ sein können, aber letztendlich das Gute immer siegen wird. So feiert man den Sieg der Göttin Durga über die Dämonen. Durga ist die bekannteste Form der Göttin im Hinduismus, die in verschiedenen Erscheinungsformen existent ist. Sie ist die Göttin der Vollkommenheit und verköpert Kraft, Wissen, Handeln und Weisheit. Im Tantrismus hingegen ist sie Shakti, sprich die weibliche Urkraft, die Energie des Universums. Der Büffeldämon, den sie samt seiner Armee der Legende nach tötet, steht neben Kraft in seiner Symbolik auch für Verblendung, Egoismus und geistigen Tod, für die inneren Feinde des Menschseins. Durga kämpft mit geistigen und kosmischen Kräften, mit dem „Schwert der Weisheit“. Durch ihren Sieg wird sie als Verleiherin von göttlicher Weisheit und Erkenntnis erkannt. So die Glaubenstheorie. Soweit, so gut.
Für das Dashain Festival wird eigene Musik gemacht, die „Mal Shree Dhun“ genannt wird. Tempelbesuche gehören dazu. Am 10. Tag des Festivals geben die Menschen „Prasad“. Prasad heißt: „Das was Frieden gibt.“ Dementsprechend opfern die Hindus Lebensmittel, Tulsi (Basilikum), Blumen und Vibhuti (heilige Asche) an die Gottheiten. Wie man bei uns sagt: „Fröhliche Weihnachten“, wünschen sich die Nepali Hindu in diesen Tagen: HAPPY DASHAIN!
Learning:
Wenn dieses Volk keine Religion und damit keine Feste hätte, hätten sie weder Hoffnung noch Ablenkung von den eigentlichen Dramen, die das Leben an diesem Fleckchen Erde so spielt. Doch statt in Trauer zu versinken als ärmstes Land des asiatischen Kontinentes, als erdbebengefährdetste dazu und als aktuelles Land ohne Benzin/Gas&Öl obendrauf, entscheiden sich die Menschen für die Freude am Leben, feiern ihr Fest und vergessen ein wenig die harte Bürde, die das Leben ihnen auferlegt. Für einen Kulturanthropologen wie mich sind die Vorbereitungen auf dieses große Spektakel super interessant anzusehen, denn innerhalb dessen zeigt sich die Kultur in voller Pracht. Umso mehr ich weiß, umso besser kann ich verstehen. Und am liebsten verstehe ich alles um mich herum.
Weil dieses Fest das beliebteste und längste des Landes ist, haben die Behörden inkl. des Government in Nepal für 7 Tage geschlossen. Sollte man planen im Oktober nach Nepal zu fliegen, ist es wichtig zu wissen, wann genau Dashain ist und damit einhergehend, wann die Behörden – wie TAAN, NTB, Immigration Office etc. geschlossen/geöffnet haben.
Conny Shiva, 17.10.16 Thamel / Kathmandu. Nepal